Lexikon - Nikotinabhängigkeit

Unter Nikotinabhängigkeit versteht man Gewöhnung und Abhängigkeit an den Stoff Nikotin, die sich bei regelmäßigem Konsum von Tabakprodukten einstellt (vor allem Zigaretten, auch bei Zigarillos oder Zigarren, Tabakspfeifen und Schnupf- und Kautabak sowie beim Rauchen von mit Tabak vermischtem Cannabis möglich). Es können sowohl physische (körperliche) wie auch psychische (geistige) Symptome auftreten.

Inhaltsverzeichnis

Wie Nikotin wirkt

Wenn der Tabak glimmt, wird das Nikotin freigesetzt. Gebunden an die winzigen Teerteilchen im Rauch gelangt es in die Lunge und von dort ins Blut. Bei Kau- und Schnupftabak erfolgt die Aufnahme über die Schleimhaut von Nase oder Mund. Da Nikotin die Eigenschaft besitzt, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, die viele andere Giftstoffe stoppen kann, erreichen die Nikotinmoleküle schon sieben Sekunden später das Gehirn, heften sich dort an die Nervenzellen und beeinflussen deren Aktivität. Das lässt sich mit modernen Verfahren sogar auf dem Bildschirm verfolgen.

In den folgenden Absätzen wird hin und wieder von "Nikotin-Rezeptoren" zu lesen sein. Dieser Begriff ist nicht ganz korrekt, denn die genannten Rezeptoren warten keineswegs darauf, dass ein Nikotin-Molekül andockt. Vielmehr handelt es sich um Rezeptoren, die normalerweise auf Acetylcholin reagieren. Nikotin ist diesem Neurotransmitter (Botenstoff) sehr ähnlich, sodass die Acetylcholin-Rezeptoren auch auf Nikotin reagieren.

"Nikotin ist eine der am schnellsten süchtig machenden Substanzen. Es hat nicht nur psychostimulierende Wirkungen wie Kokain oder Amphetamin, sondern stößt im Gehirn die gesamte Breite der Neuromodulatoren an und wirkt wie der Dirigent in einem Konzert auf viele Instrumente ein", erläuterte Professor Lutz Schmidt aus Berlin auf der 2. Nikotin-Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Nikotinforschung in Erfurt. Nikotin greift an zwei verschiedenen Kompartimenten an, den präsynaptischen und postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren ("Nikotinrezeptoren"). Bei Bindung an die Rezeptoren kommt es zur Ausschüttung unterschiedlicher Neurotransmitter [chemische Stoffe, die dem Informationsaustausch zwischen den einzelnen Nervenzellen dienen] wie Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Endorphinen. Diese beeinflussen bekanntlich verschiedene funktionale Strukturen des Gehirns, wobei es individuelle Variationen gibt. Die nikotinergen Rezeptoren haben einen sehr engen Bezug zum präfrontalen Cortex. "Dadurch wird verständlich, dass Hirnfunktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen durch Nikotin verbessert werden", so Professor Lutz Schmidt aus Berlin.

Außerdem bestehe eine enge räumliche Beziehung zum dopaminergen Belohnungssystem, einer entwicklungsgeschichtlich entscheidenden Struktur. Sie wirkt auf Funktionen wie Essen, Trinken und Sexualität, die notwendig sowohl für die Existenz des einzelnen Menschen als auch für das Überleben der Art sind. Beim Rauchen belohnt sich der Mensch also ebenso wie bei der Ausführung existentieller Handlungen.

Die besondere Wirkung des Nikotins auf das Gehirn besteht in einer Catecholamin-Freisetzung in den so genannten Belohnungsarealen der Großhirnrinde. Dies in Verbindung mit dem sensiblen oralen Reiz des Rauchens bewirkt die "positiven" Gefühle des Rauchens.
Zigaretten enthalten eine ganze Reihe von Substanzen, die sich in ihrer Suchtwirkung potenzieren. Ammonium (dem Tabak bei der Verarbeitung künstlich zugesetzt) beispielsweise wirkt wie ein Beschleuniger für das Nikotin. Der im Tabakblatt enthaltene bzw. künstlich zugesetzte Zucker verbrennt beim Rauchen, wobei u. a. das ebenfalls süchtigmachende Acetaldehyd entsteht. Dieser Stoff bewirkt eine Reduzierung des Enzyms MAO-B (Monoaminooxidase B), das im Gehirn Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin abbaut. Man hat festgestellt, dass Raucher bis zu 40 Prozent weniger MAO-B haben als Nichtraucher. Dementsprechend mehr Dopamin und Serotonin wirken auf das Gehirn ein, was wie beim Nikotin als angenehm empfunden wird und somit das Suchtpotential erhöht.

Auch diverse andere Drogen wirken als MAO-B-Hemmer, zum Beispiel Tollkirsche und Stechapfel. MAO-Hemmer werden in der Medizin als Antidepressiva eingesetzt.
All diese Zusammenhänge sind aber immer noch Gegenstand der aktuellen Forschung. Mit weiteren Erkenntnissen wird auch in Zukunft zu rechnen sein.

Übrigens wirkt Alkohol an den selben Rezeptoren wie Nikotin. Er blockiert diese, was dazu führt, dass mehr geraucht werden muss, um sich entspannt zu fühlen.

Rauchen stresst. Viele Raucher behaupten, mit Hilfe der Zigarette könnten sie besser Stress abbauen. Das Gegenteil sei der Fall, sagt Andy Parrott, Psychologe an der University of East London. Wer raucht, um Stress abzubauen, füge sich selbst nur weiteren Stress zu, denn der scheinbar entspannende Effekt des Rauchens komme nur dadurch zustande, dass durch den Griff zur Zigarette die Spannung, die durch ein Sinken des Nikotin-Levels entstanden ist, wieder aufgehoben wird.

"Die gewohnheitsmäßigen Raucher brauchen jedoch bald eine weitere Zigarette, um die neuen Abstinenzsymptome, die sich wieder einstellen, zu bekämpfen. Das wiederholte Empfinden negativer Stimmungen zwischen den Zigaretten bedeutet, dass Raucher dazu neigen, ein leicht überdurchschnittliches täglich Stress-Niveau zu erleben. Somit scheint Nikotin-Abhängigkeit eine direkte Ursache von Stress zu sein." erläutert der Professor. Für seine Studie, die in der Oktober-Ausgabe des "American Psychologist" (Vol. 54, No. 10) veröffentlicht wurde, analysierte Parrott zahlreiche Untersuchungen über erwachsene Raucher, jugendliche Raucher und Nikotin-Entwöhnungen. Parretts These wird sowohl von Untersuchungen von jugendlichen Rauchern als auch über aufhörende Raucher gestützt. Die Stress-Symptomatik, die bei Erwachsenen festzustellen ist, lässt sich auch bei jugendlichen Rauchern aufzeigen.

Das stärkste Argument für seine These sind aber wohl Forschungsergebnisse, die belegen, dass das Abgewöhnen des Rauchens Stress reduziert. Mehrere frühere Studien belegen, dass ehemalige Raucher sich als weniger gestresst erwiesen als jene, die immer noch rauchen. Es gibt indes auch Studien, die keinen Unterschied im Stress-Empfinden zwischen Rauchern und neuen Nicht-Rauchern ausmachen können. Aber: Keine einzige Studie konnte zeigen, dass ehemalige Raucher gestresster seien als Immer-noch-Raucher.

 

Suchtpotenzial

Nikotin ist verantwortlich für die Sucht nach Tabakerzeugnissen. Abhängig von der persönlichen Konstitution, Lebensphase, Stimmung, Umfeld bietet Nikotin ein sehr hohes Suchtpotential und kann sehr schnell zu Suchtverhalten führen.

Nach Meinung von Experten des Schweizer Bundesamt für Gesundheit, sowie anderer, beispielsweise der US-Gesundheitsbehörde FDA, "ist das Suchtpotenzial von Nikotin vergleichbar mit dem vom Heroin".

Laut Allen Carr kann ab der ersten Zigarette körperliche Abhängigkeit entstehen, Dipl. Psychologe Peter Lang, Leiter des Bereichs Sekundärprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, spricht von 2 Zigaretten.

Es reichen wenige Zigaretten oder wenige Tage mit kleinem Zigarettenkonsum bis zum Eintritt der körperlichen Sucht. Andere Experten sehen eher den Ritus des Rauchens im Vordergrund.

Die körperliche Abhängigkeit äußert sich je nach dem Grad der Gewöhnung an Nikotin in schwachen, kaum wahrnehmbaren Entzugserscheinungen bis zu starker Unruhe und Schweissausbrüchen. Die Symptome verschwinden jedoch in 5-30 Tagen und können durch Nikotinersatzpräparate und leichte Entspannungsmittel wie Baldrian oder Yoga gelindert werden.

Weitere Entzugserscheinungen entstehen dadurch, dass die ständige Stimulierung des Belohnungssystems durch das Nikotin ausbleibt. Sie können sich durch Gereiztheit, Ungeduld, Aggressivität, schlechte Laune bis hin zu Depression und Konzentrationsstörungen äußern. Dieser Zustand kann Monate andauern und ist einer der Hauptgründe dafür, dass Ex-Raucher wieder rückfällig werden. Ein anderer: bisweilen erhebliche Gewichtszunahme, trotz erheblicher Versuche, gegen zu steuern. Viele hatten bewusst oder unbewusst rauchen als Appetitzügler eingesetzt. Hier empfehlen sich viel Sport, Sauna..., was den Stoffwechsel anregt und eine notfalls rigorose Ernährungsumstellung (schlimmstenfalls vielleicht vorübergehend Rohkost). Nur ein Teil der Nikotin-Entzieher ist so belastet, was selbst Krankenkassen in Aufklärungsschriften gern eher verschweigen, um nicht zu demotivieren.

Die psychische Abhängigkeit durch eingeprägte Verhaltensmuster, die sich im Laufe einer "Raucherkarriere" entwickeln, kann nach dem körperlichen Entzug auch nach Jahren noch vorhanden sein. Das gilt auch für den Kaugummi als Ersatz anstelle von essen.

 

Wie Sucht funktioniert

Alle Phasen der Sucht - von Rausch bis Rückfall, von Kick bis "Craving" - spielen sich primär im gleichen kleinen Hirnareal ab: im so genannten Nucleus accumbens, dem Belohnungssystem. Die Evolution hat diesem Nervenknoten eine entscheidende Rolle zugeteilt. Er verbindet lebenswichtige Vorgänge wie Essen, Trinken und Sex mit einem Lustgefühl. Dazu schütten die Nervenzellen Botenstoffe aus, vor allem Dopamin. Sämtliche Drogen jedoch stören den Mechanismus so, dass mehr freies Dopamin übrigbleibt:

  • Nikotin steigert die Ausschüttung
  • Kokain blockiert die Wiederaufnahme;
  • Opiate hemmen Nervenzellen, die die Dopaminmenge begrenzen;
  • Cannabis benutzt einen anderen körpereigenen Steuerkreis, den es wie mit einem Nachschlüssel starten kann;
  • Alkohol greift so umfassend in die Steuerung der Neuronen ein, dass ebenfalls mehr Dopamin ausgeschüttet wird.

Dopamin sorgt jedoch nicht selbst für den Kick, sondern setzt gleichsam hinter alle Erlebnisse ein Ausrufezeichen: Das hier, was du gerade tust, dieser Ort, dieser Geschmack, dieser Geruch! - das ist immens wichtig, sagt der Dopaminschub dem Drogennutzer. Das Belohnungszentrum verknüpft die Umstände des Konsums mit der spezifischen Wirkung der Droge.

Nikotin löst also eine wohlige Gefühlskaskade im Belohnungszentrum des Gehirns aus. Eine Zigarette beglückt den Raucher ähnlich wie ein Kuss oder ein gutes Essen.

Diese "Belohnung" wird direkt mit der Tätigkeit des Rauchens assoziiert. Der durchschnittliche Raucher mit 7.000 Zigaretten pro Jahr wiederholt ständig seine "Erfahrung", dass Rauchen eine beglückende Tätigkeit ist. Dies prägt sich tief in sein Unterbewusstsein ein, es entsteht ein sogenanntes "Suchtgedächtnis". Dieses Gedächtnis wird aktiv, wenn der Spiegel an wirksamen Substanzen im Belohnungszentrum nachlässt. Oder wenn der Raucher einen anderen rauchen sieht. Dann erwacht wieder das Verlangen nach einer neuen Dosis Nikotin.

Ein weiterer Aspekt ist die Vermehrung der Anzahl von Nikotinrezeptoren bei chronischem Nikotinabusus. Bei Untersuchungen an Gehirnen gestorbener Raucher wurden doppelt soviele Rezeptoren gefunden wie bei Nichtrauchern. Eine Hypothese ist, dass dadurch bei Kettenrauchern besonders viel Dopamin ausgeschüttet wird, was eine intensivierte Reaktion auf das Nikotin zur Folge hat. Allerdings ist das Phänomen reversibel: bei Ex-Rauchern sinkt die Anzahl der Nikotinrezeptoren wieder in den Normbereich. Das Suchtgedächtnis scheint jedoch eine irreversible Komponente aufzuweisen, die die Entwöhnungsschwierigkeiten erklärt.

Mit zunehmender Gewöhnung nimmt die Zahl der Rezeptoren zu, dafür werden sie unempfindlicher. Das Gehirn braucht größere Dosen des Suchtmittels.

Neben dem Nikotineffekt scheinen Frauen stark auf einen möglicherweise geschlechtsspezifischen "Erleichterungskick" zu reagieren. Ein im Dezember 1999 in "Nicotine & Tobacco Research" veröffentlichter Fachartikel erläutert, dass Frauen psychisch nach jenem Gefühl süchtig werden, wenn die Nervosität beim Rauchen abklingt, die erst durch die Nikotinsucht, also durch den absinkenden Nikotinspiegel verursacht wird.

Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Nikotinsucht aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.


 

 

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